Heimat- und Geschichtsverein

von 1984 Gittelde e.V.

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Gittelde – eine international operierende Finanz- und Handelsmetropole

Diese Schlagzeile wird sicherlich zunächst ungläubiges Stirnrunzeln auslösen, denn unter einer Finanz- und Handelsmetropole stellt man sich heute Millionenstädte wie Frankfurt am Main, New York oder London mit ihren Börsen und Bankenvierteln vor, aber ganz bestimmt nicht Gittelde, diesen kleinen, beschaulichen Ort am westlichen Harzrand. Bei einem Besuch in Gittelde wird man jedoch vielleicht unter anderem eine Besonderheit feststellen, nämlich dass hier zwei alte Kirchen stehen - für einen Ort dieser Größe durchaus ungewöhnlich. Und tatsächlich: Diese beiden Kirchen sind das letzte, heute noch sichtbare Zeichen einer längst vergangenen Zeit, in der Gittelde einen Fernhandelsmarkt mit eigener Münzstätte besaß. Die Anfänge dieser bedeutsamen Entwicklung reichen bis ins 9. Jahrhundert n. Chr. zurück.
In der Mitte des 9. Jahrhunderts waren die Liudolfinger Besitzer umfangreicher Güter am südwestlichen Harzrand. Die Liudolfinger, die wahrscheinlich im Thüringer Raum beheimatet waren, wurden durch Karl den Großen für ihre Königstreue mit den konfiszierten Ländereien des frankenfeindlichen, sächsischen Adels beschenkt. Der erste bekannte Vertreter und Namensgeber war Liudolf, der in Rom Reliquien erwarb und sie 852 zur Gründung seines Hausklosters Brunshausen bei Gandersheim verwendete. Zur Verwaltung ihres Besitzes legten die Liudolfinger in regelmäßigen Abständen Wirtschaftshöfe an, die sie entweder befestigten oder durch den Bau nahegelegener Fluchtburgen sicherten. Durch Urkunden der sächsischen Kaiser kann man auf solche Höfe in Seesen, Gittelde, Lasfelde, Pöhlde und Ellrich schließen. Der Gittelder Wirtschaftshof lag auf dem Gelände des heutigen Friedhofs. Ein Gebäuderest ist bis heute erhalten, aber völlig unbeachtet dem Verfall preisgegeben. Von der ursprünglichen Anlage förderten Ausgrabungen des Braunschweigischen Landesmuseums 1953 nördlich und unterhalb der Johanneskirche 90cm dicke Trockenmauern in typisch karolingischer Bauweise zutage, die durch Keramikfunde bis ins 9. Jahrhundert datiert werden konnten. Die Johanneskirche dürfte dabei auf die Kapelle des Liudolfingischen Wirtschaftshofs zurückgehen.
Im Schutz dieser Befestigungsanlage wurde am Johannisborn in Badenhausen in großem Umfang Blei, Kupfer und Eisen verhüttet. Bei einer Notgrabung 1983/84 wurde ein Verhüttungsplatz nachgewiesen, der bereits im 9. Jahrhundert in Betrieb war. Bleiglättefunde belegten zudem den Treibprozess zur Silbergewinnung und Isotopenanalysen zeigten, dass die Ausgangserze nicht nur aus dem Iberg sondern auch aus dem Rammelsberg sowie den Oberharzer Gangzügen stammten.
König Otto der Große aus der Familie der Liudolfinger verfügte 953, dem Jahr der ersten urkundlichen Erwähnung Gitteldes, auf eine dort bereits seit nahezu einem Jahrhundert bestehende und florierende Montanindustrie. Mit der Schenkungsurkunde von 953 übertrug Otto der Große einen Wirtschaftshof in Gittelde, an der Stelle der heutigen Mauritiuskirche gelegen , dem von ihm selbst 937 gegründeten Mauritiuskloster in Magdeburg.
Otto hatte dem Magdeburger Mauritiuskloster wichtige Aufgaben im Rahmen seiner Ostkolonisationspolitik übertragen. So sollten sie von Magdeburg aus die Missionierung der östlich der Elbe lebenden slawischen Stämme organisieren und anschließend Handelsbeziehungen zu ihnen aufbauen. Vor diesem Hintergrund ist das Mauritiuskloster, aus dem 968 das Erzbistum Magdeburg hervorging, stets reich beschenkt worden. Aber nicht nur für die christliche Mission und das Handelswesen, sondern auch in den Bereichen Verwaltung und Technik waren die hochgebildeten Geistlichen besser geeignet als die Kriegsherren des Hochadels.
Mit der Übertragung des Billinger Wirtschaftshofs in Gittelde an das Magdeburger Mauritiuskloster wird Otto der Große beabsichtigt haben, vor Ort Innovationen bei der Silbergewinnung durch die Mönche entwickeln zu lassen. Dieses Vorhaben scheint aufgegangen zu sein, denn schon im Jahr 965 errichtete Otto der Große in Gittelde einen Markt mit Münzstätte.
Die auf den Heimatforscher Heinrich Uhde zurückgehende und leider noch heute verbreitete Theorie, die Münz- und Marktrechtsverleihung von 965 wäre eine Entschädigung für die fiktive Rücknahme der Schenkung von 953 aufgrund plötzlich einsetzenden Silberbergbaus, beruht auf sehr großzügig interpretierten Urkundentexten sowie dem Forschungsstand der 40er Jahre des vorigen Jahrhunderts und ist somit nicht mehr haltbar. Gittelde stand seit 965 gemeinsam mit einer Handvoll weiterer Münzstätten ganz am Anfang der monetären Entwicklung im Norden des Heiligen Römischen Reichs und vor dem Aufstieg zu einer „Handelsmetropole von internationalem Rang“.
Eine Sonderausstellung zum „Tag der offenen Heimatstube“ des Heimat- und Geschichtsvereins Gittelde am 4. Oktober 2015 zeigt eine umfangreiche Sammlung Gittelder Münzen und führt mit vielen interessanten Informationen durch die über 650 Jahr andauernde und wechselvolle Geschichte der Münzstätte Gittelde.

pdfSonderausstellung_15_10_04.pdf