Nach einer Erzählung von Otto Dörge, Lehrer in Gittelde
Die Nacht breitet ihren dunklen, Sternenbesäten Himmel über Braunschweig. Es ist eine Spätsommernacht des Jahres 1532.Still und leer sind die Straßen und Gassen der schlafenden Stadt. Nur das bleiche Gesicht des Mondes, das die spitzen Giebel der Fachwerkhäuser magisch beleuchtet, zittert durch die Enge.
Mitternacht schlagen die Glocken von St. Andreas.
Da trabt ein einsamer Reiter von Wolfenbüttel her in die Stadt hinein. Er hält sich immer im Schatten der Häuser. Sein Ross ist abgehetzt, aber er gibt ihm wieder und wieder die Sporen, bis er auf dem Altenwiek ein kleines abseits gelegenes Gebäude erreicht hat. Hier springt er aus dem Sattel, steht noch eine Weile lauschend und spähend da und zieht dann das Pferd durch das offen stehende Hoftor hastig hinter sich her. In diesem Augenblick wird die Hintertür des Hauses geöffnet und ein älterer hagerer Mann eilt auf den Hof hinaus.
"Meister Andreas Simon--"? fragt der Reiter mit heiserer Stimme. " Zu dienen, Euer Gnaden, ich bin der Bildschnitzer Simon". "Ihr erhieltet also richtig meine Botschaft? Gut....bindet mein Pferd an und dann kommt"!
Meister Simon tut, wie ihm geheißen und bald darauf stehen sie in einem erleuchteten Zimmer, dessen Fenster sorgfältig verhängt sind.
"Willkommen, gnädiger Herr Herzog"! sagt der Bildschnitzer ehrerbietig. "Wollt´s Euch nicht ein bisschen bequem machen"?
Der späte Gast, ein stattlicher Mann im besten Alter, wirft Mantel und Kappe ab und setzt sich in einen Sessel. "Nun" ruft er freundlich, "mein Besuch soll nicht lange dauern. Habt Ihr dafür gesorgt, dass uns niemand belauscht"? "Ganz wie Euer Gnaden befohlen haben. Keine Seele ist noch im Hause".
"Gut , ich weiß, dass Ihr ein großer Mann in Eurem Fach seid, Meister. Ich will Euch einen Auftrag geben. Aber wundert Euch nicht darüber und haltet reinen Mund".
Simon nickt diensteifrig, wiewohl er schon jetzt nicht wenig erstaunt ist.
"Aber höret! Ich habe ein Spiel vor, das streng geheim gehalten werden soll. Dazu gebrauche ich ein Bildwerk - eine Holzfigur, die einen schlafenden oder gestorbenem jungen Weibe gleicht. In Lebensgröße, versteht Ihr?" "Gewiss, gnädiger Herr!" antwortete Simon noch verwunderter.
"Das Bildwerk müsst Ihr am Michaelistage (29. Sept.) liefern zwei Stunden vor Mitternacht in meinem Schlossgarten zu Wolfenbüttel. Ich selbst werde es dort hinter der linken Rotunde entgegennehmen. Der Auftrag wird bei Euch in bewährten Händen liegen. Aber missbraucht nicht mein Vertrauen und bewahrt mir das Geheimnis"!
"Ich werde Euch nicht enttäuschen, gnädiger Herr"!
Der Herzog legte zehn schwere Goldgulden, die er aus seinem spanischen Wams zieht, auf den Tisch und erhebt sich lächelnd.
"Neugierig dürft Ihr nicht sein," sagt er dann, "das steht Euch nicht zu. Aber eins: macht mir das Gesicht der Figur recht hold, malt es lieblich an - versteht Ihr? Und hier ein Vorschuss auf den Preis." Damit wirft er sich den Mantel über die Schultern, drückt sich die Kappe aufs Haupt und wendet sich zum Gehen. Andreas Simon geleitet ihn hinaus, steht dann noch lange am Hoftor, hinter ihm herstarrend, bis der Hufschlag des davonjagenden Pferdes im Dunkel der Nacht verhallt ist.....
"Ein merkwürdiger Auftrag!" grübelt der Meister. "Ein schlafendes oder gestorbenes junges Weib aus Holz? Mit holdem Gesicht? Und niemand darf es wissen-?"
Da kommt ihm plötzlich eine Ahnung. Er denkt an die Geliebte des Herzogs, an das Kammerfräulein Eva von Trott. "Will er ihr vielleicht mit dem Holzbild irgendeine Überraschung bereiten? Sprach er nicht selbst von einem geheimen Spiel?"
Simon lacht vor sich hin. Er glaubt jetzt, den sonderbaren Wunsch des Herzogs ganz erfasst zu haben. Das holde,liebliche Gesicht des Holzbildes soll dem schönen Fräulein von Trott gleichen, das ist es!
Oh, schmunzelt er glücklich und denkt an den hohen Lohn, oh, er wird den fürstlichen Gönner mit seiner Kunst nicht enttäuschen, ganz gewiss nicht. Das Holzbild soll ein Meisterwerk werden, wie es sich Herr Heinrich nicht trefflicher wünschen kann!
Mit diesem Vorsatz legt sich Andreas Simon dann zur Ruhe, um am nächsten Morgen fröhlich die Arbeit zu beginnen...
Wochen später, am Michaelistag...
Im Schloss zu Wolfenbüttel ist es laut und lebendig. Das kannte man seit Jahren nicht mehr. Eine dumpfe, niederdrückende Stimmung herrschte vielmehr bisher in den hohen Räumen. Da brütete überall nur finsterer Ernst.
Herzogin Maria, die Gemahlin Heinrichs des Jüngeren von Braunschweig - Wolfenbüttel bestimmte ihn. Sie konnte nicht mehr lachen. Kummer und Gram trübten ihr Gemüt. Zank und Streit verbitterten ihr die Tage. Darum gab es im Wolfenbütteler Schloss schon lange keine Freude mehr.
Jetzt aber ist es mit einem Mal anders. Gleichsam über Nacht hat sich das Wesen der Herzogin geändert. Sie geht heute nicht mit argwöhnischen Blicken umher. Ihr Gesicht ist hell und freundlich. Ihre Augen strahlen. Sie begegnet der Dienerschaft mit Güte und Milde. Es ist, als sei sie plötzlich aus düsterer Erstarrung zu neuem, frohen Leben erwacht.Staunend sehen das die Hofleute.
"Was ist geschehen?" fragten sie sich. "Woher diese glückliche Veränderung."
Und dann raunt es durchs Schloss: "Das Kammerfräulein von Trott hat um ihre Entlassung gebeten und der Herzog hat ihrem Wunsch nachgegeben!"
Das ist der Grund der Wandlung der Herzogin Maria. Und sie hat auch recht, die Entlassung des schönen Kammerfräuleins mit triumphierender Freude zu begrüßen, denn die damit nun endlich vom Hofe verschwindet, ist die Störerin ihres ehelichen Friedens, die Verursacherin unerträglichen, ewigen Verdrusses, die Geliebte ihres treulosen Gemahls...
Acht Jahre schon ist das Liebesverhältnis zwischen dem Herzog und dem Kammerfräulein ein offenes Geheimnis. Es werden tolle Geschichten darüber im Land gemunkelt. Doch ist vieles übertrieben und unwahrscheinlich. Sicher nur ist, dass Eva von Trott in diesen Jahren unter dem Vorwande einer Reise in die Heimat dreimal auf längere Zeit den Hof verließ und dann jedes Mal auf der einsamen Stauffenburg einem Kinde das Leben schenkte. Und sicher ist auch, dass echte, leidenschaftliche Liebe die beiden zueinander trieb und das diese Liebe allen Widerständen und Gefahren gegenüber stark geblieben war. Doch so schlau das Paar seine Fehltritte auch zu verbergen verstand, sie kamen der Herzogin Maria doch zu Ohren. Sie wandte sich schließlich an ihren Vater, den Herzog Heinrich von Württemberg, um Hilfe. Aber sie steigerte damit nur den Unfrieden ihrer Ehe und alle verzweifelten Versuche, die junge, schöne Nebenbuhlerin vom Hofe zu entfernen, scheiterten an dem harten, ungestümen Sinn des Herzogs. Acht Jahre dauerte also dieser Kampf schon. Sogar der Kaiser hat dabei jüngst eingegriffen und den verwegenen Heinrich ernstlich zur Sitte angehalten. Doch alles schien umsonst. Der Herzog dachte nicht an Nachgeben.
Nun aber hat Eva von Trott selbst um ihre Entlassung gebeten? Sie will zu ihren Eltern zurück und den verführerischen Hof für immer vermeiden? Und der Herzog hat hat ihren Abschied unverzüglich bewilligt? Maria denkt nicht daran, dass dies nur eine List sein könnte, mit der sich die Liebenden vor den immer gefährlicher werdenden Drohungen ihrer Verwandten retten wollen. Die plötzliche Bereitwilligkeit ihres Gemahls zu der Aufgabe der Geliebten müsste sie doch stutzig machen. Allein, sie sieht nur ihren Triumph, sie ahnt nichts von einem trügerischen Spiel, zu dem dieser Fortgang der Nebenbuhlerin vom Hofe nur erst der Auftakt ist.
So strahlt sie an diesem Michaelistage vor Freude und Genugtuung. Ein Aufatmen geht durchs ganze Schloss. Und als Eva von Trott am Nachmittag, scheinbar in tiefer Trauer, in der Tat vom Hofe Abschied nimmt und bald darauf in einem Reisewagen Wolfenbüttel verlässt, ist sie gewiss, dass nun alles anders wird und dass sie bald den Platz neben dem Herzog zurückgewinnen wird, der ihr allein von Rechtswegen zukommt.
Am Abend dieses gleichen Tages, zwei Stunden vor Mitternacht, aber steht Herzog Heinrich im Schlossgarten hinter der linken Rotunde.
Er hält sich bewegungslos im Dunkel und horcht angespannt in die Stille hinaus. Endlich hört er auf dem schmalen Wege vor sich gedämpfte Schritte und verhaltenes Keuchen. Dann schiebt sich ein Mann, der einen verhüllten, schweren Gegenstand trägt, langsam aus dem Schatten der Bäume auf die Rotunde zu. "Simon, seid Ihr´s?" ruft Heinrich flüsternd. "Ja Herr!"
"So folgt mir vorsichtig!"
Und er führte den Bildschnitzer behutsam durch die Laubgänge zu einem Seitenturm des Schlosses. Dort geht es eine Schneckentreppe hinan, und dann sind sie in einem kleinen, behaglich eingerichteten Raum, den ein mattes Kerzenlicht erhellt.
"Zeigt!" sagt der Herzog ungeduldig. "Lasst sehen, wie Euch das Werk gelungen ist!"
Da enthüllt der Meister seine Last von den schützenden Tüchern und legt den Gegenstand sanft auf das Ruhebett. Es ist das bestellte Holzbild, eine vortrefflich geschnitzte und bemalte Büste, ein ruhendes Haupt, mit feinen edlenZügen, ein wenig wehmutsvoll geschlossenen Augen und aufgelöstem, vollem, dunklen Haar.
"Evchen--!" ruft der Herzog überrascht und versinkt für eine Weile lächelnd in dem Anblick des Leblosen, doch so sprechend ähnlichen Bildwerkes.
"Ihr habt eine gute Arbeit getan, Meister!" lobt er alsdann. "Besser, als ich dachte. Ich werde Eure Kunst nicht vergessen....Hier ist Euer Lohn. Aber nun denkt daran, dass Ihr auch beim Fortgehen unbeobachtet bleiben müsst und das niemals jemand von diesem Auftrag erfahre."
Zwanzig Goldgulden kann Simon einstecken. Oh, der Herzog ist nicht knauserig! Dann geht der Meister unbemerkt denselben Weg zurück, den er gekommen ist.
Heinrich jedoch, den das meisterhafte Holzbild überaus freudig und zufrieden gestimmt hat, holt sich bald darauf einen seiner vertrauten Diener in das Turmzimmer und übergibt dem die Büste. "Verpack sie gut," sagt er fast übermütig, "und dann eile-!"
Als im Schloss längst die letzten Lichter ausgelöscht sind und die Menschen darin in festem Schlaf liegen, trabt ein Reiter vom Hof durch Wolfenbüttel davon. Es ist der Vertraute des Herzogs. Er trägt vor sich das verhüllte Bildwerk. Und er trabt auf der alten Heerstraße in der Richtung nach Lutter a. Bbge. - Seesen - Bad Gandersheim Südwestwerts. Er reitet den gleichen Weg, den am Nachmittag der Reisewagen des schönen Fräuleins von Trott einschlug.....
*
Nahe dem Städtchen Einbeck steht in einsamer, waldiger Gegend ein kleines Kirchlein, das sie die Kapelle des Heiligen Blutes nennen. Drei oder vier Tage vor der Abreise Evas von Trott aus Wolfenbüttel hat, was wir hier einfügen müssen, Herzog Heinrich in diesem Gotteshause eine kurze, geheimnisvolle Zusammenkunft gehabt.
Es war frühmorgens an einem trüben, nasskalten Septembertage. Die Bewohner Einbeck´s hatten noch längst nicht ausgeschlafen. Nachtnebel lag noch in den Gassen.
Da zuckelte ein Wäglein von der Herberge "Zum Schwan" zum Städtchen hinaus. Außer dem Rosselenker, einem Jungen, saßen drei Frauen in Kapuzen und Reisemänteln darauf, und sie fuhren zur Kapelle des Heiligen Blutes, wo Herzog Heinrich in Begleitung eines Pagen auf sie wartete.
Die Frauen waren Else Mettel aus Peine, Anna Dankwert aus Gandersheim und Pine Kippenberg aus Gittelde - alle drei einfache, biedere Bürgersfrauen....
Sie gingen mit Heinrich in die Kapelle hinein und blieben länger als eine halbe Stunde darin, indes der Page vor der Tür Wache hielt.
Ungestört konnte der Herzog so vor den Frauen, die er herbestellt hatte, darlegen, welche Dienste er von ihnen verlangte. Sie merkten sich jedes Wort und waren stolz, dass sie ihr fürstlicher Herr so ins Vertrauen zog. Heinrich versprach ihnen glänzenden Lohn, worauf er gleich eine Anzahlung gab, und zum Schluss ließ er die Eingeweihten einen heiligen Eid schwören, dass sie niemals und zu niemanden über das sprechen würden, was er mit ihrer Hilfe in den nächsten Tagen auszuführen gedächte....
Nach dieser sonderbaren Begegnung ritt der Herzog mit seinem Pagen nach der Stauffenburg und bald darauf weiter nach Wolfenbüttel.
Die drei Frauen aber bestiegen ihr Wägelchen und fuhren in Richtung Gandersheim davon. Am Spätnachmittag hielten sie dort vor dem Georgentore, verließen das Gefährt und gingen einzeln in das Städtchen hinein.
Else Mettel begab sich in die Wohnung des Baders, mit dem sie verwandt war, Anna Dankwert ging in das Amtshaus, wo sie als Amtsschreibersfrau ihre Behausung hatte und Pine Kippenberg suchte, da ihr Mann ein Meister von Nadel und Zwirn war, die Herberge des Schneidergewerkes auf.
So sind sie nun seit Tagen an Ort und Stelle - in dem alten braunschweigischen Städtchen Gandersheim -und warten. Und sie sind bereit für den beschworenen Dienst.
*
Im Amtshaus der alten Burg zu Gandersheim herrscht Klaus Scharfenstein als herzoglicher Amtmann. Er ist ein alter, bequemer Junggeselle, von Podagra gequält, und hat die Hauswirtschaft der Frau seines Schreibers abgetreten. Und das ist Anna Dankwert, die wir schon von der Kapelle des Heiligen Blutes her kennen.
Jetzt gegen Abend nach dem Michaelistage, sitzt Klaus Scharfenstein gerade bei einer Kanne des süffigen Einbecker Bieres, um sich von des Tages Müh und Plage zu erholen. Da stürzt plötzlich Anna Dankwert atemlos ins Zimmer, und die Hände ringend, ruft sie in zitternder Erregung: "Herr Amtmann, Herr Amtmann, helft,
helft - !"
"Ja, was ist denn?" wendet sich der Alte erschrocken um. "Was schreit Ihr, Anna, was gibt´s?" "Ach Herr Amtmann...., des Herzogs Küchenschreiber, Christoph Schmidt, ist soeben angekommen. Mit einer schönen Frau, Herr Amtmann. Aber die Frau ist böse erkrankt. Er will sie hier einquartieren, sagt er, er könne mit ihr nicht weiter....!"
"So - ?" macht der Amtmann verwundert. "Eine kranke Frau....? Ruft den Küchenschreiber her, holt ihn, lauft!"
Da huscht Anna Dankwert eilig hinaus, und bald schiebt sie Christoph Schmidt, einen verschmitzten jungen Gesellen, vor sich her zur Tür hinein.
"Ihr seid des Herzogs Küchenschreiber?" fragt Scharfenstein den Gast.
"Ja, gestrenger Herr. Ich komme geradewegs von Wolfenbüttel her und habe von unserem gnädigen Herrn den Auftrag, das Kammerfräulein der gnädigen Herzogin nach Kassel zu geleiten."
"Ah so! Und die Dame ist unterwegs erkrankt?"
"Schwer erkrankt, Herr Amtmann, und ganz plötzlich. Unmöglich kann ich sie deshalb noch länger den Strapazen der der Reise aussetzen. Ich bitte um Eure Hilfe, nehmt die Kranke auf, gebt ihr Quartier!" Klaus Scharfenstein überlegt. "Wer ist das Fräulein?" fragt er dann. "Es ist das edle Fräulein Eva von Trott." Bei diesem Namen fährt der Amtmann jäh auf. "Das Fräulein von Trott?" ruft er bestürzt. "Um Gotteswillen, nicht einen Schritt dürft Ihr noch weiterreisen. Das Fräulein bleibt hier, bis es gesund ist. He, Dankwertin, lasst ein Gemach im Seitenflügel herrichten...sofort, sofort, schnell!" Dann läutet er Diener und Mägde herbei, erteilt Befehle, drängt aufgeregt zur Eile und jammert immer wieder: "Gott verhüte ein Unheil! Gott verhüte ein Unheil!"
Schließlich hinkt er mit dem Küchenschreiber nach draußen in den Burghof. Dort hält in der Tat ein schwer bepackter herzoglicher Reisewagen, und darin liegt, auf Stroh und Zeug gebettet, fiebernd und totenbleich, das schöne Fräulein von Trott....
Ein paar Stunden später. In einem Zimmer des Seitenflügels, das sauber und behaglich hergerichtet ist, hat die Kranke in weichem und mit kostbaren Spitzen verhängtem Bett ihr Lager gefunden. Sie ist der Obhut der Anna Denkwert anvertraut worden. Die wacht nun bei ihr.
Unterdessen sitzt der Amtmann mit Christoph Schmidt in seiner Stube und hört sich die Neuigkeiten an, die der Küchenschreiber vom Herzogshofe zu berichten weiß.
Gegen 10 Uhr wird er gestört. Die Dankwertin kommt herein und ruft bekümmert: "Es steht schlimm. Die Kranke leidet schwer, ihr Puls jagt, ihr Gesicht ist bald kalkweiß, bald dunkelrot. Ich brauche Hilfe für die Nacht, Herr Amtmann, gute Hilfe. Ratet mir doch!" "Lieber Gott," jammert der Alte auf, "was machen wir nur? Soll ich die Schwestern aus dem Marienkloster holen lassen?"
"Ach nein, die nicht!" widerspricht die Amtsschreibersfrau hastig. "Das gnädige Fräulein kann die Nonnen nicht leiden...Aber halt, mir fällt was ein. Vorgestern kam ich von Einbeck zurück. Da fuhren mit mir zwei Frauen, die erzählten, dass sie sich auf Krankenpflege und Heilkunde gut verstünden.Die eine war Else Mettel, die beim Bader Martin zu Besuch ist, und die andere Pine Kippenberg, die in der Herberge der Schneiderzunft ihr Logis hat. Schickt einen Boten hin, Herr Amtmann, lasset sie um des Heilands willen herrufen!"
Da atmet Klaus Scharfenstein erlöst auf, zieht den Glockenstrang und befiehlt dem hereinkommenden Diener, sofort die Weiber auf die Burg zu holen. Mit Güte oder Gewalt, ganz gleich!
Und eine halbe Stunde später sind sie da, als hätten sie auf die Order gewartet. Anna Denkwert führt sie ins Krankenzimmer. Dann werden die Mägde und Diener, die zu Handreichungen bereitstanden, zu Bett geschickt. Auch der Amtmann, der die Leidende nun unter bester Aufsicht glaubt, und des Herzogs Küchenschreiber begeben sich zur Ruhe.
Bald ist es still im Amtshause der alten Burg. Dunkel und schwer lastet die Nacht über Gandersheim.Nur die Frauen am Krankenbett, die drei Verschworenen des Herzogs Heinrich wachen noch....
*
Mitternacht mag es sein. Da regt sich plötzlich die Kranke, schlägt die Augen auf, öffnet den Vorhang ihres Lagers, sieht die vor ihr sitzenden Frauen eine Weile freundlich prüfend an und fragt dann flüsternd: "Ist es soweit?" Die drei Frauen machen eine unbeholfene Verbeugung und Anna Denkwert antwortet: "Ja, gnädiges Fräulein!" Da springt die Kranke mit einem Ruck, gesund und munter wie je, aus dem Bett, lacht auf und ruft mit halblauter Stimme: "Dann schnell ans Werk, wir dürfen keine Zeit verlieren!" Und nun geht es im Krankenzimmer sehr lebhaft zu. Eva von Trott lässt aus einer Ecke, in der ihre Sachen aufgestapelt stehen, zwei breite, schwere Lederbündel holen. Sie selbst, im Nachtgewand bleibend, entfernt die Riemen, die es zusammenhalten, und schlägt mit ungeduldigen Händen eine Umhüllung nach der anderen zurück. In stummer Erregung stehen die Frauen dabei. Unter dem flackernden Kerzenlicht sehen sie ein Bündel Stroh zum Vorschein kommen. Dann eine Anzahl großer Tuche und runde Hölzer von Armeslänge. Dann ein langes, weißes Gewand, einen weißseidenen Mantel, Handschuhe, Strümpfe, Samtschleifen und einen breiten,dichten Schleier.
"Legt alles sorgsam auf den Tisch," flüstert das Fräulein. "Und nun - passt auf!" Sie öffnet jetzt das zweite Bündel und schlägt langsam, ein wenig zaghaft, die letzte Umhüllung auseinander. Da entfährt den Weibern ein erstickter Schrei, und entsetzt starren sie auf ein menschliches Haupt, auf auf das Haupt einer dunkelhaarigen, schönen toten Frau, das da in den Tüchern eingebettet liegt. "Na," lacht Eva von Trott leise, indem sie den unheimlichen Gegenstand vorsichtig emporhebt. "Ihr ängstigt Euch vor einem Holzbild?"
Sie hielt jene Holzbüste in Händen, die Meister Andreas Simon in Braunschweig für Herzog Heinrich lieferte. Belustigt betrachtete sie das Schnitzwerk eine Weile. "Vortrefflich gemacht!" lobt sie, um der Figur alsdann übermütig einen Backenstreich zu geben, wobei sie verschmitzt sagt: "Du sollst mir helfen, hölzernes Evchen, dazu hat dich mein Herzog anfertigen lassen."
"Aber was soll denn mit dem Holzbild werden?" fragt endlich Anna Denkwert fassungslos. "Ach, Ihr wisst´s noch nicht? Dann hört zu: Dieses Holzbild soll sozusagen meine Doppelgängerin werden - meine Leiche. -"
Verstört fahren die Frauen auf, doch schon erklärt das Fräulein weiter: "An diese Holzbüste müsst Ihr mir nun einen ansetzen. Die runden Hölzer dort sind für die Arme und Beine, das Stroh für den Leib. Das Ganze wird sauber und adrett angekleidet, mit Strümpfen und Schuhen, Totengewand und Mantel, Handschuhen und Stirnbändern. Und über das Gesicht kommt der dichte Schleier. Alles weitere wird sich finden."
"Aber von solchen Dingen hat unser Herzog nicht zu uns gesprochen...." Wendet Else Mettel schüchtern ein.
"War das nötig? Ihr habt ihm jedenfalls geschworen, über alles zu schweigen, was heute Nacht geschieht. Also fragt nicht viel. Helft! Und damit Ihr´s endlich begreift: ich muss diese Nacht sterben...." Die Frauen erschrecken wieder. Sie durchschauen plötzlich das unheimliche Spiel. "Welch ein Frevel!" denken sie. Aber schließlich unterdrücken sie ihre Angst. Sie handeln ja für ihren Herzog, was kann ihnen also geschehen? "Was zaudert Ihr?" ruft das Fräulein von Trott "Ich bereite meine Leiche. Macht, helft mir dabei. Im Morgengrauen muss ich tot sein. Und Euch erwartet guter Lohn!" Da überwinden die Frauen endlich ihre Hemmungen, und erst zögernd, dann immer eifriger helfen sie der Geliebten des Herzogs, jene Puppe herzustellen, mit der nun ein Betrug ausgeführt werden soll, wie er verwegener kaum denkbar ist.... In der fünften Morgenstunde wird Else Mettel mit einem Sack nach draußen geschickt, um Erde zu holen, die für das Schwermachen der Puppe nötig ist. Sie wird dabei von zwei Mägden, die schon beim Wasserschöpfen am Brunnen sind, beobachtet.
"Wie steht es mit dem kranken Fräulein?" fragen die Mägde teilnahmsvoll. "Sehr schlimm," antwortet die Frau, "sehr schlimm! Der Tod steht schon am Lager!" "Ach das arme Fräulein! Aber was wollt Ihr mit dem Sack voll Erde?"
Die Mettel findet einen Augenblick keine Antwort auf die Frage. Doch dann sagt sie hastig: "Wir brauchen sie zum Kühlen. Die Erde soll der Kranken aufgelegt werden, sie hat nämlich die Pest im Leibe..." "Die Pest - ?"
Entsetzt flüchten die Mägde von dannen, alles im Stich lassend, und bald weiß es jedermann in der Burg wie in der Stadt: Im Amtshaus steht der schwarze Tod!
"Die Pest?" lacht Eva von Trott. "Das habt Ihr großartig gemacht. Nun sind wir ganz sicher, dass uns keiner stört. Doch die Puppe ist fertig. Versteckt sie. Und jetzt müsst Ihr den Bader holen, damit er mich, wie es leider geschehen muss, zur Ader lässt!"
Nach diesen Worten nimmt sie ein Töpfchen mit brauner Salbe und streicht sich mit dem Farbmittel Gesicht, Hals, Arme und Hände. Damit schlüpft sie wieder in ihr Bett, um das Spiel der tödlichen Erkrankung munter fortzusetzen, während Frau Mettel sich auf den Weg zum Bader macht.
Der Bader Martin ist nun aber seltsamerweise schon in dieser frühen Morgenstunde in ein entferntes Dorf zu einem anderen Kranken gerufen worden. Deshalb bringt Else Mettel statt seiner, die Baderin mit. Die versteht sich auch ein wenig auf die Kunst ihres Mannes und tritt also hilfsbereit ans Krankenlager.
"Großer Gott!" sagt sie kopfschüttelnd, da sie die dunkelbraune Haut der Leidenden sieht, "So verfärbt schon? Welch ein Jammer!" Und nachdem sie ihre Arbeit schnell getan: "Das Blut kam ja noch dünn und reichlich. Aber es wird kaum helfen. Armes Fräulein!" Dann geht sie wieder.
Draußen im Hof haben sich unterdessen die Burgleute versammelt. Aufgescheucht und angstvoll scharen sie sich um den völlig verstörten Amtmann. Sie haben schon Wermut zum Ausräuchern der Pest bereit. Fröstelnd warten sie in der kühlen Morgenluft.
Um 7 Uhr tritt dann plötzlich Pine Kippenberg aus dem Amtshaus. Sie ist bleich, übernächtigt und sehr erregt. "Herr Amtmann!" ruft sie weinerlich in den Hof, "Herr Amtmann - !" "Ja was ist? Was macht die Kranke?" tönt es mit bebender Stimme zurück. "Sie ist tot...."
Lähmendes Entsetzen. Dann ruft und schreit und schuchzt es durcheinander. Christoph Schmidt eilt in der Verwirrung davon, um die Tür des Sterbezimmers und das Tor zum Hinterhof fest zu verschließen. Klaus Scharfenstein aber weiß vor Schreck und Not nicht ein noch aus. Schließlich ruft er seinen Reitknecht Barthel Koch und befiehlt diesem, die Trauerbotschaft sofort dem Herzog nach Wolfenbüttel zu bringen. "Reitet hurtig, Barthel!" ruft er bebend. "Meldet, dass Fräulein von Trott nicht zu retten gewesen sei...." Und empfehlt mich dem gnädigen Herrn. ..sagt, dass ich tief bekümmert sei und um seine Gnade bitte - !"
Als nun Barthel Koch mit seiner Trauerbotschaft auf jagendem Ross davon sprengt, geschieht auf dem leeren, abgeschlossenen Hinterhof der alten Burg, von niemanden bemerkt, folgendes: Christoph Schmidt hat heimlich eine Leiter ans Fenster des Sterbezimmers gestellt. Nun öffnet sich das Fenster, und eine junge Frau im Reisekleid steigt über die Brüstung eilig in den Hof hinab. Dem Küchenschreiber noch einmal zuwinkend, hastet sie dann über die herabgelassene kleine Zugbrücke davon und erreicht wenige Augenblicke später das nahe Gehölz, wo ein bespanntes Gefährt auf sie wartet.
"Glück zu, gnädiges Fräulein!" lacht der Kutscher, die breite Krempe seines Hutes zurückschlagend. Es ist Eberhard Dedeken, der Kastellan der Stauffenburg. Schnell steigt die Frau in den Wagen, und schon geht es im Trabe in den Wald hinein.
Bald sind sie weitab von Gandersheim. Da halten die Pferde noch einmal. Der Wind trägt fernes Glockengeläut herüber.
"Horcht!" ruft der Kastellan belustigt. "Das sind Totenglocken. Man hat es eilig mit der Trauer und läutet auf allen Türmen, sogar im Kloster. Es muss eine vornehme Leiche sein!"
Doch der schönen Eva von Trott fröstelt. "Fahrt zu!" ruft sie...
Stunden später tauchen auf waldiger Höhe hohe Dächer und ein spitzer Turm auf. "Die Stauffenburg!" sagt der Kastellan aufatmend, und als am Fuße des Bergabhanges ein Dorf sichtbar wird: "Gittelde..!"
Da steigt das Fräulein ab und wandert allein durch vertraute, einsame Waldwege zur Burg empor. Johanna, die Frau des Kastellans, öffnet die Efeuumrankte Pforte. Dann verschwindet die Geliebte des Herzogs Heinrich des Jüngeren hinter den Mauern des hohen Schlosses vor den Augen der Welt...
Die im Amtshause zu Gandersheim zurückgebliebenen drei Frauen haben im Verein mit Christoph Schmidt die Puppenleiche so naturgetreu hergerichtet, dass kein Mensch Verdacht schöpfen kann. Der Küchenschreiber selbst bemüht sich um den Sarg. Die - an der Pest Dahingeschiedene - wird sorgsam hineingebettet, mit Blumen bestreut und im halbdunklen Sterbezimmer aufgebahrt.
Der Amtmann, die Burgleute und die Neugierigen aus der Stadt dürfen nur einen kurzen Blick auf die schöne Tote werfen. Kaum können sie unter dem dichten Schleier die Züge des starren Gesichts erkennen. Schaudernd wenden sie sich ab.
Nur Frau Martin, die Baderin, macht noch Umstände. Sie fragt Anna Dankwert verwundert, warum man das edle Fräulein ungebeichtet habe sterben lassen.
"Sie konnte nicht mehr sprechen. Wer wollte ihr die Sakramente erteilen?" antwortete die Eingeweihte. "Und wo ist der goldene Reif, den ich beim Aderlass noch an ihrem Arm gesehen habe?"
Da sagt Anna Dankwert zu Christoph Schmidt: "Lasst uns den Sarg schließen, Schreiber. Sonst kommen wir noch alle in Deubels Küche!" Und sie nagelten den Schrein zu und ihn durch Pfarrer und Schulmeister abholen.
Im Barfüßerkloster, auf hohem schwarzen Katafalk, wird er noch einmal abgestellt. Weihrauchwolken umhüllen ihn, hohe Kerzen brennen an seinen Seiten, und in Gegenwart der Mönche und vielen Volkes wird Totenmesse gehalten. Dann senken sie den Sarg feierlich in das Grabgewölbe. Dumpf auffallend schließt der Stein die Gruft - und alles ist vorbei...
Inzwischen ist der Bote des Amtmanns in Wolfenbüttel eingetroffen. Als er die Trauerkunde überbringt, zerdrückt der Herzog tiefbetrübt eine Träne und heuchelt: "Schade um das Fräulein!"
Die Herzogin Maria aber, eine fromme, mitleidige Frau vergisst allen Kummer und Gram, den sie durch Eva von Trott jahrelang zu ertragen hatte und lässt Messen für deren Seelenheil lesen. Und jeder Priester oder Mönch, der an den Vigilien teilnimmt, erhält dafür Essen, Trinken und zwei Mariengroschen, weshalb gar viele erscheinen.
Dann dauert es nicht mehr lange, da verstummen alle Geschichten, die sich um die Liebesaffäre des Herzogs gesponnen haben. Auch im Schlosse zu Wolfenbüttel kehrt Ruhe und Frieden ein. Die Erinnerungen verblassen und bald spricht niemand mehr von dem schönen Fräulein von Trott...
*
Jahre vergehen.... viele Jahre...
Herzog Heinrich hat sich gewandelt und bemüht sich, an seiner Gemahlin die Sünden der Vergangenheit wieder gut zu machen. Nur merkwürdig oft beschäftigt er sich mit der Jagd. Immer wieder verlässt er für Wochen den Hof, um wie man glaubt, in den Wäldern des Westharzes zu jagen. Er wohnt dann auf der Stauffenburg, und niemand ahnt, dass er nur hier ist, um hinter den schützenden Gräben und Mauern seiner heimlichen Liebe zu leben.
Allmählich aber erwacht ringsum in den Dörfern ein seltsames Flüstern. "Es spukt auf der Stauffenburg!" heißt es. "Kinder schreien dort. Eine weiße Frau geht da
um ...."
Ein Jägerknecht, der von einem großen Geheimnis wissen will und sich öffentlich damit brüstet, wird am nächsten Tage erstochen im Wald aufgefunden. Eine Holzsucherin, die im Burggraben eine kostbare Nürnberger Puppe gefunden hat und erzählt, dass sie dabei auch in einem Fenster des Schlosses einen dunkelhaarigen Frauenkopf beobachtet habe, ist bald darauf spurlos vom Erdboden verschwunden. Da meidet man den unheimlichen Burgberg ängstlich. Aber immer gewisser wird es den Landleuten, das die Mauern da oben ein Geheimnis umschließen und dass dieses Geheimnis ein unerlaubter Handel sein müsse. So geht es bis zum Jahre 1541.
Da kommt eines Tages Bernd Goldacker, Hauptmann der Stadt Erfurt, nach Gittelde, um hier Eisen aus den Schmelzöfen zu kaufen. Und siehe, auch er hört das Geraune über das Geheimnis der Stauffenburg. Bernd Goldacker hat einmal am Hofe in Wolfenbüttel gedient, ist damals aber in Ungnaden entlassen worden. Er ist deshalb nicht gut auf den Herzog Heinrich zu sprechen und wittert nun eine Möglichkeit, diesem in hämischer Rache sein Ungemach heimzuzahlen.
Er horcht die Landsleute aus und erfährt immer seltsamere Dinge. Schließlich schleicht er sich auf heimlichen Wegen zur Burg hinauf und legt sich dort auf die Lauer. Tagelang wiederholt es das, bis es ihm endlich gelingt, das Geheimnis zu erspähen.
Als er wieder einmal seinen Beobachtungsposten hinter dichtem Gebüsch bezogen hat, gewahrt er im Garten der Burg eine reich gekleidete Dame. Sie sitzt unter einem mächtigen Baum und hat zwei Kinder bei sich, die zu ihren Füßen spielen. Neben ihr auf der Bank liegen der Federhut eines Mannes, ein Paar lederne Handschuhe und eine schwere Jagdpeitsche.
Fiebernd wartet Goldacker, dass die Fremde ihm einmal das Gesicht zuwende. Aber er wartet vergeblich. Sie zeigt ihm den Rücken und lange bleibt sie so sitzen.
Da kommt plötzlich durch eine Pforte des Burggemäuers ein Mann in den Garten. Er geht auf die Fremde zu, zieht sie kosend an seine Brust und will sie dann mit den Kindern durch die Pforte davonführen. "Herzog Heinrich!" schießt es dem Hauptmann durch den Kopf.
In diesem Augenblick sieht er das Gesicht der Frau. Da erstarrt er jäh. Ist es möglich? Narrt ihn ein Spuk? Werden Tote wieder lebendig? Das ist ja das schöne Kammerfräulein von Trott, das in der Barfüßerkirche zu Gandersheim beerdigt ist!
Goldacker erbebt. "Ein Gespenst?" flüstert er entsetzt. Vor seinen Augen dreht sich alles. Plötzlich ein Gedanke: er muss wissen, was da vorgeht! Und verstört springt er auf, ruft den Namen der Geliebten des Herzogs, die er von Wolfenbüttel her genau kennt, ruft ganz laut.
Aufschreiend flüchtet Eva von Trott durch die Pforte davon. Herzog Heinrich mit den Kindern hinter ihr her. Dann lautes Getümmel in der Burg. Und wie der Hauptmann noch ganz betroffen am Rande des Grabens steht und ihm die Gerüchte von dem Geheimnis durch den Sinn jagen, blitzt es plötzlich auf der Mauer vor ihm auf, ein Schuss kracht, und haarscharf streift die Kugel seinen Kopf.
Da rast Goldacker davon, verlässt zur Stunde Gittelde und trägt in die Welt hinaus, was er gesehen und erlebt hat und enthüllt das Geheimnis der Stauffenburg....
Auf dem Reichstage zu Regensburg klagen die evangelischen Stände und die Familie von Trott den Herzog Heinrich von Braunschweig - Wolfenbüttel vor Kaiser und Reich an, er habe die tot geglaubte Eva von Trott auf der Stauffenburg lebend eingekerkert. Bald darauf bricht der Schmalkaldische Krieg über ihn herein.
Eva von Trott muss flüchten. In stürmischer, pechfinsterer Nacht verlässt sie mit ihren Kindern die Stauffenburg, um auf kläglichem Gefährt nach Liebenburg gebracht zu werden. Doch schon vierzehn Tage später geht es weiter nach Schöningen und bald darauf nach Halberstadt. Hier muss sie sich von ihren Kindern trennen, um dann in fortwährender Flucht durch die Lande zu hetzen und schließlich in den Wirren der Zeit spurlos zu verschwinden. Sie soll den Rest ihrer Tage im Kloster zu Hildesheim verbracht haben. (+ 12.01.1567)
Die sieben Kinder, die sie insgesamt auf der Stauffenburg geboren hat, sterben früh oder versinken schnell in der Nacht der Vergangenheit.
Auf der Liebenburg gebar Eva von Trott ihr 9. Kind. Es erhielt den Namen Katharina; der Amtmann hatte strengstes Stillschweigen geloben müssen.
Auch Herzog Heinrich muss für seinen Fehltritt büßen. Die schmalkaldischen Fürsten ziehen als Sieger in Wolfenbüttel ein und demütigen ihn vor aller Welt, indem sie alle Teilhaber des Geheimnisses verhaften und ihre Verhöre vor Kaiser und Reich bekannt geben. Vereinsamt und verbittert lebt er sein unrühmliches Leben zu Ende.
Die Stauffenburg aber verfällt zu Schutt und Asche. Nur kümmerliche Reste zeugen heute noch von ihren Mauern und Gräben, hinter denen einst das große Geheimnis waltete - das Geheimnis einer verbotenen Liebe. -
- ENDE -